Bootsbauer bewahren maritimes Erbe
Im Herbst 2012 erreichte das Kollegium der Landesberufsschule für Bootsbauer ein Hilferuf aus Kiel: Das dortige Schifffahrtsmuseum suchte Fachleute um ein historisches Fischereifahrzeug zu vermessen. Dessen Rumpf ist der letzte seiner Art – wie benutzt um die Mitte des 19.Jh.-. Da er zu zerfallen droht, bat das Kieler Schifffahrtsmuseum die Bootsbauerschule darum, einen Riss von ihm abzunehmen, um zumindest dessen Linien für die Nachwelt zu bewahren. Es handelt sich um ein Fischereifahrzeug aus dem 19.Jh. aus der Kieler Region. Der Typ wird als Quase angegeben. Quasen sind Fahrzeuge mit einer Bünn, das ist ein von Wasser durchströmter Kasten im Innenraum des Rumpfes in dem gefangene Fische lebendig zu den Märkten transportiert werden konnten. Der Rumpf ist ein klinkerbeplankter Spitzgatter. Ein Deck ist nicht mehr vorhanden.
Weil so eine Tätigkeit nicht in unseren Lernfeldkontext integrierbar ist, wurde beschlossen, das Projekt als Förderprojekt an Wochenenden und nach Unterrichtsende durchzuführen. Schnell fanden sich 8 Schüler aus dem ersten Ausbildungsjahr dazu bereit, daran teilzunehmen.
Im April war es dann soweit: ein kalter Nordwind bläst über die Kieler Bucht und acht Auszubildende inspizieren den Rumpf. Dieser liegt geneigt an Land, um Besuchern zu ermöglichen in ihn hineinzusehen. In seinem langen Leben wurde das Fahrzeug mehrmals umgebaut. So wurde es von einem reinen Segelfahrzeug zu einem motorisierten Fischkutter umgebaut. Auch hatte sich der Rumpf bedingt durch die Art der Lagerung verformt.

Es mussten wichtige Entscheidungen getroffen werden. Sollten die Maße von der Innen- oder Außenseite des Rumpfes abgenommen werden? Wo lag ursprünglich eigentlich die Schwimmwasserlinie? Und überhaupt: Werden wir das Boot so zeichnen, wie wir es vorgefunden haben, oder in der Form die es ursprünglich hatte?
Schnell kamen die Schüler auf die Idee, zunächst einen fiktiven Rahmen um das Boot zu bauen, der wichtige Anhaltspunkte für das Ausmessen liefert. Auch wurde ersichtlich, dass die Maße am effektivsten von der Rumpfinnenseite abzunehmen sind. Es wurden Schablonen angefertigt, die von innen bis an die Außenhaut gelegt wurden, um im nächsten Schritt auf einer Platte die Spantkontur zu Papier zu bringen. Die Kontur von Vor- und Achtersteven wurde entnommen, wie auch der Deckssprung. Über den Fortgang der Arbeiten schreibt der Probsteier Herold am 23. April 2013:
„Es wehte am vergangenen Sonnabend, ein leichter aber kalter Wind mit Nieselregen über die Wendtorfer Promenade und um den historischen Schiffsrumpf. Die Finger der angehenden Bootsbauer wurden beim Abmallen, dem Abmessen von Planken, Spanten, Steven und Sponung schnell klamm.

… Berufsschullehrer Matthias Krueger hatte seine Schüler verschiedenen Arbeitsgruppen zugeteilt, beispielsweise für den Vor- und Achtersteven und den Spantenriss.
Der ungefähr um 30° nach Steuerbord geneigte Rumpf auf dem Promenadenplatz war für alle eine besondere Herausforderung. Schließlich musste jedes abgenommene Maß um diese Neigung korrigiert werden, bevor es auf dem Schnürboden, einer großen Holzplatte, eins-zu-eins aufgezeichnet werden konnte.
Unmittelbar neben dem Quasenrumpf hatten die Mitglieder des Museumshafens ein Zelt der Arbeiterwohlfahrt aufgeschlagen. Dort zeichneten die Berufsschüler geschützt vor dem Nieselregen ihre Messpunkte auf den Schnürboden.“

An einem Wochenende wurden alle erforderlichen Maße entnommen und die Rumpflinien aufgezeichnet, bevor mit den nächsten Schritten in der Berufsschule fortgefahren werden konnte. Dies geschah durch die Kooperation mit dem Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum und der finanziellen Unterstützung aus dem Europäischen Fischereifonds (EFF Achse 4) sowie durch tatkräftige Hilfe durch den Museumshafen Probstei bei der Verpflegung und Unterkunft der Auszubildenden.

Ausgehend von den entnommenen Rumpfmaßen wurde in der Schule in Förderstunden nach Unterrichtsende ein Linienriss im Maßstab 1:5 angefertigt.
Die am Originalrumpf entnommenen Maße wurden zudem unter Anleitung von Christian Garleff in das Computerprogramm „Multisurf“ eingegeben und hieraus der endgültige Linienriss entwickelt. Dieser wurde sorgfältig ausgestrakt, wobei sich zeigte, dass der in Wendtorf stehende alte Bootskörper sehr sogfältig vermessen wurde, weil die Linien nur noch im Bereich bis 20 mm zu korrigieren waren. Handelte es sich um Messfehler? Wohl kaum, eher hatte die Quase schon vor Jahren damit begonnen, ihre Form zu verlieren.
Hier wurde allen Beteiligten deutlich, wie groß sie Bedeutung dieses Projektes ist, denn man weiß nicht, wie lange die Quase dem Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum noch erhalten bleibt. Und so wurde auch in den letzten Arbeitsschritt viel Sorgfalt gesteckt: Der grafischen Aufarbeitung. Schließlich wurde der Linienriss ausgedruckt und von Schülern der Landesberufsschule für Glaser eingerahmt.

Am 16.11. kam dann eine Delegation aus Kiel in die Berufsschule der Handwerkskammer Lübeck, um den fertigen Linienriss in Empfang zu nehmen. Dr. Doris Tillmann, Leiterin des Kieler Schifffahrtsmuseum, zeigte sich hocherfreut: „Mit dem Vermessen und dem Anfertigen eines Linienrisses durch den außerschulischen Workshop der Lübecker Berufsschule für Bootsbau wird diese spezielle und typische Fischereifahrzeugkonstruktion nun erstmals dokumentiert und damit die notwendige fischereigeschichtliche Sachkulturforschung bezüglich der Bauweise umgesetzt. Aber wir wecken damit auch das Interesse an Bootskonstruktionen der Fischerei bei den Auszubildenden.“
Die Auszubildenden waren stolz auf die Würdigung ihrer Arbeit, zudem hatten sie viel bei diesem Projekt gelernt und maritimes Erbe für die Nachwelt bewahrt.