Bericht der Klasse Bo 13.4 über eine Projektreise im September 2014 ins Wikingermuseum nach Haithabu

Wir, allesamt auszubildende Bootsbauer und Schüler der Landesberufsschule für Bootsbauer in Lübeck-Travemünde, trafen am Sonntagnachmittag am Gruppenhaus Klöndeel in Loopstedt ein. Loopstedt ist ein winzig kleines Dorf in der Nähe von Schleswig, ganz im Norden von Deutschland. Nachdem die Zimmer bezogen waren, machte sich unsere Gruppe direkt auf den Weg in Richtung Haithabu, genauer gesagt zur Rekonstruktion der alten Wikingersiedlung Haithabu. Diese befindet sich von unserer Herberge aus gesehen genau am gegenüberliegenden Ufer des Haddebyer Noors, uns standen also gute 3km zu Fuß bevor.
Im Dorf angekommen war natürlich unser erstes Ziel der Bootsbauplatz. Dort entsteht bereits seit April 2014 der Nachbau eines Wikingerbootes vom Typ Tendering. Dieser Bootstyp ist rund 10m lang, 2m breit und kann sowohl gerudert als auch mit einem Rahsegel gesegelt werden. Zur Zeit unseres Besuches waren die Arbeiten am Rumpf schon weit fortgeschritten, es fehlte noch der oberste Plankengang, einige Spanten und kleinere Teile wie beispielsweise die Keipen als Widerlager für die Riemen zum Rudern. Das Besondere beim Bau dieses Bootes ist, dass nicht nach Rissen gearbeitet wird und dass nur Arbeitsmethoden verwendet werden, über welche auch die Wikinger schon verfügten. In einer kurzen Einführung machte uns der Bootsbaumeister Kai Zausch mit dem Boot und auch einigen der Handwerkszeuge vertraut. Für uns bisher weitgehend unbekannt waren Werkzeuge wie der Dechsel und das Breitbeil. Was man nicht unbedingt vermutet, ist, dass auch die Wikinger bereits über Hobel verfügten. Im Gegensatz zur heutigen Holzbearbeitung haben sie ihr Holz nicht gesägt sondern nur gespalten. Dabei suchten sich die Wikinger jeweils Bäume mit einem Wuchs, der zu den benötigten Teilen passt und spalteten das Holz dann auf die passenden Maße. So entstehen sehr feste und relativ leichte Teile.
Doch bevor wir zu tief in die Theorie einstiegen, gab es erst einmal weitere organisatorische Dinge zu regeln, nämlich die Gruppen- und Arbeitsverteilung sowie die Planung der weiteren Tagesabläufe. Wir teilten uns in Gruppen zu jeweils vier Personen auf, wobei in den Gruppen jeweils ein Riemen oder aber der Mast zu bauen war. Neben der praktischen Arbeit standen aber auch noch andere Punkte an: Es gab über die Woche die Möglichkeit, das nahe gelegene Wikingermuseum in kleinen Gruppen zu besuchen oder aber mit Nachbauten von Wikingerbooten zu rudern. Diese Boote zu segeln war leider aus verschiedenen Gründen nicht möglich.
Mittlerweile war es schon früher Abend und wir machten uns auf den Rückweg nach Loopstedt. Dieses Mal gingen wir südlich um das Noor herum. Der Weg war nicht nur schöner sondern auch nasser: Das Haddebyer Noor hat windbedingt einen nicht unerheblichen Tidenhub, so dass der Weg ein gutes Stück lang unter Wasser stand. Also Schuhe aus, Hose hoch und durch.
Wieder im Gruppenhaus angekommen wurde dann Essen gekocht. Auch hier hatten wir uns gruppenweise organisiert und kochten in Eigenregie. Dabei entstanden in der Woche sehr leckere Mahlzeiten und wir waren selbst überrascht, wie reibungslos das immer funktionierte.

 

Der Tagesablauf in den kommenden Tagen war jeweils ähnlich und doch immer wieder anders. Eine Konstante war jedenfalls das ununterbrochen erstklassige Wetter. Das war auch gut so, denn die meiste Zeit waren wir natürlich damit beschäftigt, an unseren Teilen des Wikingerbootes zu arbeiten, von morgens bis abends draußen an der frischen Luft. Eine sehr interessante Erfahrung war, dass wir dabei sehr viel Augenmaß einsetzen mussten, was überraschend gut funktionierte. Alle Gruppen stellten bei ihren jeweiligen Projekten ein Rundholz her. Dazu wurden die noch unbearbeiteten Stämme zunächst mit Breitbeil und Dechsel, anschließend mit Hobeln grob bearbeitet um einen gleichmäßigen, quadratischen Querschnitt zu erhalten. Die Gleichmäßigkeit überprüften wir jeweils mit einer (natürlich selbst gefertigten) Lehre. Mit einer sogenannten Kuh wurden nun je zwei Linien auf den Flächen angerissen, wobei der Abstand einer Linie zur Kante mit dem Abstand der Linien untereinander im Verhältnis 3 zu 4 steht. Mit diesen Linien als Orientierung konnte aus dem quadratischen Querschnitt nun ein achteckiger Querschnitt herausgearbeitet werden. Dieser wurde weiter zu einem 16-eckigen Querschnitt bearbeitet welcher dann im letzten Schritt rund gehobelt wurde. Bei den Riemen musste zusätzlich noch das Ruderblatt ausgearbeitet werden sowie eine Verjüngung als Griff. Was sich bei der Erklärung noch anhörte als wäre es recht schnell erledigt entpuppte sich in der Praxis als eine gute Portion Handarbeit, wir waren damit wirklich die ganze Woche beschäftigt und wurden pünktlich am Donnerstag Abend fertig.
Etwas erholen konnte man sich dafür etwas beim Besuch des Wikingermuseums. Hier gab es verschiedene Ausstellungsbereiche zum Alltag, Handwerk, Politik und Religion der Wikinger sowie zu ihren weitreichenden Handelsbeziehungen und natürlich auch zu ihren Booten und Schiffen und dem Dorf Haithabu. Ein Höhepunkt für uns angehende Bootsbauer waren die Überreste eines Wikinger-Kriegsschiffes, welches im Hafen von Haithabu gesunken war und durch das Haddebyer Noor konserviert wurde, bis Archäologen es bergen konnten. Aber auch davon abgesehen gab es viele interessante und teilweise auch überraschende Details über das Leben der Wikinger zu erfahren. Wer hätte gedacht, dass Wikinger bereits über Dinge wie Vorhängeschlösser und Klappmesser verfügten?
In Kleingruppen konnten wir auch noch Erprobungsfahrten mit Nachbauten kleiner Wikingerboote durchführen. Schnell stellte sich dabei heraus, dass der Abstand der Keipen zueinander zu gering war, denn der Vordermann stieß dem anderen laufend mit seinen Riemen in den Rücken. Davon abgesehen fiel auf, dass die Boote unerwartet leicht waren und sehr stabil im Wasser lagen. Kenterungen gab es keine. Am Donnerstag konnten wir mit Benni, einem der ebenfalls am Wikingerboot arbeitenden Bootsbauer-Wandergesellen, dann noch eine Runde segeln. Er hatte sein eigenes, selbstgebautes historisches Segelboot, ebenfalls in Klinkerbauweise, allerdings mit Sprietsegel und Fock getakelt, im Museumshafen liegen.
Ein ganz besonderer Tageshöhepunkt war immer das Mittagessen, das wir jeweils im Wikingerdorf über einem Lagerfeuer zubereitet haben. Von Grillwurst bis zur selbst gemachten Gemüsesuppe gab es für jeden Geschmack etwas. Wer von Bewegung und frischer Luft noch nicht genug hatte, der hatte die Möglichkeit den morgendlichen und abendlichen Weg zum und vom Wikingerdorf nicht zu Fuß, sondern über das Wasser zu bewältigen. Dabei konnten wir auf zwei Kanadiern aus dem Gruppenhaus Klöndeel zurückgreifen, die in einer Art Shuttleservice über das Noor pendelten, bis alle am jeweils anderen Ufer angelangt waren. Abends hatten wir außerdem die Möglichkeit gemütlich an einem Lagerfeuer zusammen zu sitzen.
Am Freitag war unser Abreisetag. Nach dem Auszug aus der Unterkunft fuhren wir noch alle gemeinsam zum Schloss Gottorf, um uns dort das Nydam-Schiff anzusehen, ein nahezu perfekt erhaltenes, fast 23m langes Ruderschiff aus der Zeit der Germanen. Dazu gab es eine sehr ausführliche Ausstellung zur Bauweise der damaligen Schiffe und Boote, wobei uns der Bootsbaumeister Kai Zausch eine detailreiche Führung geben konnte. Wir waren alle schwer beeindruckt von der Größe des Schiffes und von dem Können seiner Erbauer, ein guter Abschluss für eine sehr interessante und lehrreiche Woche.
Die Schleswiger Nachrichten haben über unsere Projektreise geschrieben in der Ausgabe vom 19. September 2014

Sebastian Scholz, Bo 13.4
p.s.: Bald nach der Projektreise wurde das Boot am 3. November 2014 getauft und dem nassen Element übergeben.